Smart Cars im Kontext von Sensorik, Aktorik und IT

Das Smart Car entwickelt sich zum intelligenten Mobilitätspartner.

1. Zielsetzung (Warum?)
Vier Megatrends können als Antreiber genannt werden:

Abb. 1: Herausforderungen und Antworten - Smart Car (Quelle: Dietz Consultants)

Zur Entwicklung eines Smart Cars werden vielfältige Fähigkeiten und Technologien integriert um die notwendigen Fähigkeiten des Fahrzeugs zu realisieren. Diese Systeme verkörpern Komplexität. Das antizipierende Analysieren solcher Systeme während der Systementwicklung mit FMEA stellt eine große Herausforderung dar.

Abb. 2: Notwendige Fähigkeiten des Smart Car (Quelle: Dietz Consultants)

Das Smart Car wird eine Vielzahl von Anwendungen erschließen und optimieren:

  • Aktive Sicherheit und passive Sicherheit
  • Car to Car Systeme (C2C) – vernetzte Fahrzeuge
  • Insassenüberwachung
  • E-Call
  • Das Fahrzeug als Lebensraum
  • Diagnosesysteme
  • Big Data
  • Car Sharing Systeme
  • Anbindung E-Fahrzeuge an Energienetzte
  • Mautsysteme
  • Abrechnungssysteme: Berücksichtigung der individuellen Fahrzeugnutzung / Fahrprofile (z. B. Versicherungen)
  • Security (Sicherheit gegen Angriffe)

2. Vorgehensweise (Wie?)
Sensorfusion und Steuergeräte
Für alle genannten Systeme wird eine Vielzahl von Sensoren benötigt. Deren Daten müssen eine Vielzahl menschlicher Sinnesdimensionen ersetzen können. Die ermittelten Sensordaten werden in einen Kontext gebracht und zu einem Gesamtbild fusioniert (Sensorfusion). Nicht weniger komplex ist der Folgeschritt: Prozesse zur Entscheidungsfindung mithilfe von fusionierten Sensordaten und dem Wissen aus Wissensdatenbanken.

Autos verfügen heute nicht nur über eine Vielzahl von Sensoren, sondern auch über eine schnell wachsende Zahl von Steuergeräten. Dieses Konzept der Verteilung von Logikeinheiten stellt einen bedeutsamen Unterschied zu anderen „Smart-Produkten“ dar. Ein Smartphone stellt im Gegensatz zum Auto nur einen einzigen Computer dar. Die nahe Zukunft wird zeigen, welches Konzept sich durchsetzen wird.

In jedem Fall fallen große Datenmengen an, die bearbeitet werden (bis hin zu personenbezogenen biometrischer Daten wie Handkraft Lenkrad, Blinzelfrequenz,..). Die oben genannten Systeme beschäftigen sich zwangsläufig mit der:

  • Speicherung
  • Verarbeitung
  • Kommunikation

dieser Daten. Insgesamt besteht erheblicher rechtlicher Regelungsbedarf zum Umfang mit diesen Daten, die bereits heute in Fahrzeugen anfallen und rechtlich in einem Graubereich beispielsweise im Rahmen von Servicearbeiten von Werkstätten ausgelesen werden.

FMEA für softwareintensive Systeme
FMEA wird durch die hohe Systemkomplexität vor große Herausforderungen gestellt. Es scheint notwendig zu sein, dazu methodischen Ansätze zu entwickeln. Auch die zur Verfügung stehenden FMEA-Tools bedürfen einer kontinuierlichen Entwicklung. Eine Reihe von Vorschlägen zur Anwendung der FMEA für softwareintensive Produkte haben wir in den UB Dietz Tipps & Tricks 10/2014 dargestellt.

Sensoren

  • Die verschiedenen Sinnesdimensionen können der Maschine durch Sensoren zugänglich gemacht werden.
  • Die ermittelten Informationen müssen in einen Kontext gebracht werden und zu einem Gesamtbild fusioniert (Sensorfusion)
  • Dazu wird ein Prozess zur Entscheidungsfindung der Maschine benötigt (Wissensdatenbank)
  • Sensoren im Auto arbeiten im Hintergrund und unterstützen den Fahrer. Ob intelligente Auslösung des Airbags, Warnung vor dem Einschlafen oder Messung des Reifendrucks

Die neue E-Klasse von Mercedes-Benz zeigt diese Technologien auf, die in den nächsten Jahren in Serie gehen werden. In den Limousinen sind zwei Beschleunigungssensoren am Kühlerquerträger angebracht, die einen Aufprall einstufen helfen. Eine Elektronik strafft die Gurte, welche die Insassen in eine optimale Sitzposition ziehen und Sekundenbruchteile später wieder nachgeben, damit der Oberkörper in den Airbag eintauchen kann. Dieser wird je nach Unfallsituation in Stufen gezündet. Zusätzlich misst eine Folie unter dem Sitz das Gewicht des Beifahrers. Damit wird sichergestellt, dass der Airbag eine zierliche Frau nicht mit derselben Wucht trifft wie eine 100-Kilo-Person.

Beispiel Smart Car: Vernetzte Fahrzeuge - Car to Car Systeme (C2C)
Fahrzeuge kommunizieren direkt miteinander. Beispielsweise kann das ein Fahrzeug Informationen an das direkte Umfeld weitergeben über:

  • Eine Unfallsituation im weiteren Straßenverlauf
  • Gefährliche Straßenzustände wie Glatteis
  • Freie Parkplätze

Fahrzeuge welche Informationen erhalten haben treten dann selbst als Transponder auf und geben die die Daten an nachfolgende Fahrzeuge weiter. Zwischenzeitlich hat die EU im Mikrowellenbereich die für die C2C Kommunikation erforderlichen Frequenzen freigegeben.

Abb. 3: Prinzipdarstellung C2C kommunikation (Quelle: DLR)

Abb. 4: Mögliche Kommunikationsinhalte von C2C Kommunikation (Quelle: Dietz Consultants)

Smart Car Beispiel: Insassenüberwachung
Die Überwachung kann wichtige Beiträge leisten zur Vermeidung von Unfällen. Die Erfassung der Daten ist technisch höchst anspruchsvolle und wegen der personenbezogenen Daten diskussionswürdig. Es ist davon auszugehen, dass es keine Akzeptanz finden wird, Daten direkt von der Haut des Fahrers zu sensieren (Stress und Ablenkung) Beispielsweise können folgende Daten überwacht werden:

  • Frequenzveränderungen des Pulses
  • Veränderung der Mimik
  • Veränderung der Blinzelfrequenz
  • Veränderung der Kraft, mit der das Lenkrad gehalten wird

Mit diesen und weiteren Daten können dann folgende Kommunikationsprozesse veranlasst werden:
  • Warnung an den Fahrer (beispielsweise wegen Sekundenschlaf)
  • Nach Unfall: Information des zuständigen Notrufzentrums mit den GPS Daten des Fahrzeuges

Eine ständige Überwachung des Fahrenden kann einen tiefgehenden Eingriff in die Privatsphäre des Menschen darstellen. Die Fahreraktivitätserkennung, kann deutlich mehr Daten erheben und interpretieren, als die der bloßen Müdigkeitserkennung. Auf diesem Gebiet sind noch eine Vielzahl technischer, aber auch juristischer Entwicklungen notwendig.

3. Ergebnis
Die „Smartquote“ von Autos wird in Zukunft einen erheblichen Anteil an der Wertanmutung eines Fahrzeuges ausmachen. Fahrzeughersteller werden den Fokus ihrer Produktentwicklung darauf verlegen. Diese Basisfunktionen eines Fahrzeuges sind Basisforderungen und nicht mehr geeignet für den Wettbewerb um Kunden. Entwickler erhalten ungeheure Datenmengen über die Nutzung der Fahrzeuge und das Kundenverhalten. Autos werden anderseits sich über ihre Lebenszeit verändern. Softwareupdates verschaffen dem Fahrzeug neue Fähigkeiten. Neue Geschäftsmodelle werden entstehen.

Die Anzahl der vernetzungsfähigen Fahrzeuge wird schnell wachsen. Nach einer Studie (Oliver Wyman) werden 2016 bereits 80 Prozent der global verkauften Autos vernetzungsfähig sein. Als Folge werden die zu übertragenden und zu verarbeitenden Datenmengen explodieren. Für die Autoindustrie gilt daher, aus den Datenmenge diejenigen Informationen herauszufiltern, die für sie relevant sind und die beispielsweise dazu beitragen können, einen engeren Kundenkontakt herzustellen.

Das heißt: Die verschiedenen Datenquellen - inklusive Fahrzeugdaten, Kommunikationsdaten aus Social Media und Kundenkommunikation zu aggregieren und auswertbar zu machen. Hier werden die verschiedenartigen Big Data-Analysemöglichkeiten zum Einsatz kommen. Zusammenfassend kann festgestellt werden:

  • Fahrzeuge werden in noch stärkerem Umfang eine Datenquelle für Autofahrer, Hersteller, Serviceanbieter
  • Unfallfreies Fahren rückt in greifbare Nähe
  • Fahrzeuge werden in verstärktem Umfang Arbeits- und Lebensraum
  • Die Kommunikation Fahrer – Fahrzeug wird fast „menschliche Züge“ annehmen
  • Smart Car ist integraler Bestandteil von Big Data und Industrie 4.0

FMEA wird im Rahmen der entwicklungsbegleitenden Bewertung der richtigen System und Komponentenauslegung ein führendes Werkzeug bleiben. Das FMEA Vorgehensmodell wir einem erheblichen Veränderungsdruck ausgesetzt sein.

Insbesondere die Beseitigung von Medienbrüchen, beginnend mit der Analyse der Stimme des Kunden, dem Entwickeln der Requirements, den Funktions- und Fehlfunktionsanalysen sowie den abgeleiteten Verifizierungs- und Validierungsaktivitäten wird hohe Aufmerksamkeit zukommen.

Weiterhin werden zusätzliche Werkzeuge, insbesondere FTA und FMEDA, eine größere Rolle spielen. An der besseren Integration aller genannter Verfahren und deren Leistungsfähigkeit muss noch erheblich gearbeitet werden.

Abb. 5: Big Data Smart Car (Quelle: Dietz Consultants)