Wenn Funktionen mit Anforderung verwechselt werden, droht Ungemach. Es bedarf einer anderen Strategie.
Es gibt ein Problem, auf das ich bei meiner Arbeit mit FMEA-Moderatoren immer wieder stoße und welches jede FMEA scheitern lassen kann:
Werden Anforderungen im FMEA-Kontext wie Funktionen behandelt, wird die FMEA mit unsinnigen Inhalten überladen und fachlich fehlerhaft. Die schiere Menge an dieser Art FMEA Inhalt, führt zumeist dazu, dass ein Abschluss der Analyse nicht stattfindet.
Wieso?
Funktionen sind dekomponierbar und müssen in der FMEA zu Funktionsnetzen verknüpft werden. Aus negierten Funktionsnetzen entstehen physikalisch korrekte Ursache-Fehler-Folge Beziehungen.
Beispiel Kugelschreiber: Auf der Top-Ebene ist die Funktion „Umwandlung von Handbewegung in Schriftbild“.
Wird diese Funktion dekomponiert, könnten wir beispielsweise auf die Kugelschreibermine schauen und die Funktion „Tinte speichern“ identifizieren. So können wir auch der Kugel (der Kugelschreibermine) Funktionen und Produktmerkmale zuordnen.
Die so entwickelten Funktionsnetze werden durch „Negierungen“ in Fehlernetze gewandelt. Diese bilden die Grundlage für die Risikobewertungen der FMEA.
Was passiert, wenn Anforderungen an die Stelle von Funktionen treten?
Nutzt man anstelle von Funktionen (zusätzlich) Anforderungen und geht wie beschrieben vor, sind die Ergebnisse nicht zielführend.
Bei dem Beispiel Kugelschreiber könnte dies so aussehen:
Anforderung: Kugelschreiber: „Schreibleistung > 5000 Meter“.
Wird diese Anforderung nun dekomponiert, besteht die Gefahr, dass die Kugelschreibermine und die Kugel die gleiche Anforderung erhalten (Durchschleifeffekte).
- Kugelschreiber: „Schreibleistung > 5000 Meter“.
- Mine: „Schreibleistung > 5000 Meter“.
- Kugel: „Schreibleistung > 5000 Meter“.
Dieses „Durchschleifen“ bedeutet, dass im Falle der Fehlernetzbildung die Ursache das Nichterreichen der Anforderung ist, die Fehlerart ist auch das Nichterreichen der Anforderung, die Folge ist ebenfalls das Nichterreichen der Anforderung.
- Ursache Kugel: Schreibleistung < 5000 Meter
- Fehlerart Mine: Schreibleistung < 5000 Meter
- Folge Kugelschreiber: Schreibleistung < 5000 Meter.
Analyseobjekte besitzen üblicherweise hunderte von Anforderungen. Es besteht das große Risiko, dass die FMEA durch die „Sinnfreiheit“ des beschriebenen Vorgehens den „Ermüdungstod“ stirbt und der falsche Eindruck entsteht, dass FMEA immer etwas sehr zeitaufwendiges ist.
Es liegt in der Verantwortung des FMEA-Methodenexperten, dass Expertenteam zielsicher durch diese Untiefen zu führen.
Die Lösung ist mehrstufig:
Denkmodell Funktionen vs. Anforderungen: „Anforderungen limitieren / spezifizieren Funktionen“
- Anforderungen auf Top-Ebene der Systemstruktur korrespondierend mit den Funktionen darstellen. In unserem Beispiel Kugelschreiber: „Bewegung in Schriftbild für Schreibleistung von > 5000 Meter wandeln“.
- Potenzielle Fehlfunktionen (negierte Funktionen und Anforderungen):
a. Bewegung nicht in Schriftbild wandeln (digitale Negierung)
b. Bewegung in Schriftbild wandeln bei Schreibleistung < 5000 Meter (damit entstehen realistische Fehlerfolgen) - Diese Anforderungen der Top-Ebenen nicht dekomponieren / „durschleifen“
- Diese Anforderungen dienen damit der Spezifizierung der Fehlfunktionen. Dabei limitieren/spezifizieren Anforderungen Funktionen.
Weitere Erfolgsregeln:
Anforderungen die Testfälle beschreiben, müssen sofort aus dem FMEA-Verfahren der Funktionsanalyse herausgenommen werden. Diese tauchen in der FMEA als Entdeckungsmaßnahme auf!
Beispiel im Kontext Korrosion: „Salzsprühnebeltest bestehen“.
Wir stellen diese Informationen auch in einem Erklärvideo für Sie zur Verfügung:
Der „richtige“ Umgang mit Anforderungen und Funktionen ist ein wesentlicher Faktor für die Effizienz und Effektivität von FMEA und daher Teil meines Eingangsvortrags bei unserem 18. Osnabrücker FMEA-Forum (Hybrid) am 15. und 16. Februar 2023.
Wenn Sie mehr dazu erfahren möchten, schauen Sie auf unserer Veranstaltungsseite vorbei: https://www.dietz-academy.com/de/congress/18-osnabruecker-fmea-forum-15-02-23